Geschichte

Geschichte C.F.W. Rollers

und der Heil- und Pflegeanstalt Illenau

Christian Roller, erster Direktor der Illenau 1842-1878

Die Geschichte der Illenau war über mehr als drei Jahr-zehnte durch Person und Wirken des Gründungs- direktors Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802-1878) geprägt. Roller hatte mit der Illenau, die er, nach Studienreisen in ganz Europa selbst konzipieren konnte, ein für die damalige Zeit modernes Modell europäischer Krankenhauspsychiatrie mit inter-nationaler Ausstrahlung geschaffen. Europaweit wurden jahrzehntelang psychiatrische Häuser nach dem Modell der Illenau gestaltet und betrieben.

Roller war einer der federführenden Exponenten einer universitäts- und stadtfernen Anstaltspsychiatrie.  Für das Therapiekonzept Rollers, der seinerzeit vielbeschworene „Illenauer Geist“, spielte der Begriff der „Isolation“ (gegen schädigende Außeneinflüsse) und eine „heilsame“ innere Welt der Anstalt eine wichtige Rolle. Stadtferne und eine ländliche Atmosphäre erschien ihm wichtig für den Genesungsprozess. Damit war er lange Vorreiter der Vormacht-stellung der Landeskliniken,  wobei „die Illenau“ ein Format besaß, das die Universitätspsychiatrie lange in den Schatten stellte, insbesondere auch unter dem dritten Direktor Heinrich Schüle (1890-1916). Er gewann, u.a. auch durch die Abfassung eines vielbenutzten Lehrbuches zur Psychiatrie, derartige Bedeutung, dass man es nicht wagte, ihn zu fragen, ob er vielleicht die Leitung der Universitäts-psychiatrie in Freiburg übernehmen würde.

Der fünfte und letzte Direktor Hans Roemer (1928-1940), der erhebliche Verdienste für eine „soziale Psychiatrie“ und die Schaffung einer „offenen Geisteskrankenfürsorge“ in Baden erwarb, trat in die vorderste Phalanx der eugenischen Bewegung ein bis hin zur Sterilisation.  Von 1934-1939 wurden aus der Illenau 281 Frauen und 257 Männer, meist im Krankenhaus Achern, zwangssterilisiert. Ab November 1939 begann der Abtransport von Kranken aus der Illenau, die im Rahmen des „Euthanasieprogramms“ zur Tötung vorgesehen waren. Von insgesamt 674 Patienten, die sich zu Beginn des Jahres 1940 in der Illenau befanden, wurden  260 vorwiegend in Grafeneck und Hadamar getötet. Die restlichen Patienten:innen wurden in die anderen Landeskrankenhäuser verteilt.

Am 19. Dezember 1940, zwei Jahre vor dem Tag ihrer 100-jährigen Existenz, wurde die Illenau geschlossen und aus der Liste der badischen Heil- und Pflegeanstalten gestrichen.

In dieser tragischen Veränderung spiegelt sich die unheilvolle Entwicklung einer Reformanstalt, die zu ihrer Zeit Vorbild humaner stationärer Versorgung psychisch Kranker war und im Laufe der Zeit durch das grauenhafte nationalsozialistische Verbrechen massenhafter Krankentötungen ihren Niedergang erfahren musste.

Die Illenau nach Christian Roller

In der Entwicklung der Illenau spiegeln sich historische Trends der Psychiatrieentwicklung:

· In der Anfangszeit der Illenau fanden sich Merkmale traditionellen Anstaltslebens und des „moral treatment“.
· Ein genau regulierter Tagesplan mit Gebeten, Sportaktivitäten und Musizieren standen neben
· Freizeitveranstaltungen, Lesungen und Sommerfesten.

Unter dem Nachfolger von Christian Roller, Dr. Karl Hergt (1878-1889), wurden psychische Krankheiten
· als Gehirnkrankheiten verstanden. Die religiöse Orientierung der Therapieprogramme trat etwas zurück.

· Der dritte Direktor der Illenau, Dr. Heinrich Schüle (1890-1916), gewann durch die Abfassung eines viel
· benutzten Lehrbuchs und seine Analysen der psychiatrischen Versorgung der Bevölkerung an Ansehen.
· Er hatte auch den Anstieg der Zahl untergebrachter Kranker von 440 auf 700 mit der Folge räumlicher
· Überbelegung zu bewältigen. Während seiner Zeit als Direktor tauchten die ersten eugenischen
· Vorstellungen mit dem Ziel der Verminderung erblicher Geisteskrankheiten auf.

· Während des 1. Weltkriegs und der nachfolgenden Notzeit musste Dr. Ernst Thoma (1917-1928)
· als Direktor der Anstalt Personalentlassungen hinnehmen.

· Der fünfte und letzte Direktor, Dr. Hans Roemer (1928-1940), der erhebliche Verdienste für eine „soziale
· Psychiatrie“ und die Schaffung einer „offenen Geisteskrankenfürsorge“ in Baden erwarb, trat „in die
· vorderste Phalanx der eugenischen Bewegung“ ein (Lötsch 2000).

· Bereits 1934 war ein erster Schritt des Niedergangs der ehemaligen Musteranstalt Illenau erfolgt.
· Das badische Innenministerium eröffnete eine „besondere Verwahranstalt für dauernd anstaltsbedürftige
· Geisteskranke“ in Rastatt. 117 Patienten der Illenau und Pflegepersonal wurden in die baulich und
· personell unzureichend ausgestattete Anstalt verlegt.

· 1934-1939 wurden aus der Illenau 281 Frauen und 257 Männer meist im Krankenhaus Achern
· zwangssterilisiert.

· Vom November 1939 an begann der Abtransport von Kranken aus der Illenau, die „im Rahmen des
· Euthanasieprogramms“ zur Tötung vorgesehen waren. Dr. Roemer, der inzwischen die Folgen seiner
· eugenischen Überzeugung wahrgenommen hatte, versuchte vergeblich, den Abtransport zu verhindern
· (Lötsch 2000). Vom Juni bis Oktober 1940 wurden weitere Patienten aus der Illenau abtransportiert.
· Von insgesamt 674 Patienten, die sich zu Beginn des Jahres 1940 in der Illenau befanden, wurden
· 260 (= 38%) vorwiegend in Grafeneck und Hadamar getötet. Am 19. Dezember 1940, zwei Jahre vor
· dem Tag ihrer 100-jährigen Existenz, wurde die Illenau geschlossen und aus der Liste der badischen
· Heil- und Pflegeanstalten gestrichen.

In dieser tragischen Veränderung spiegelt sich die unheilvolle Entwicklung einer Reformanstalt, die zu ihrer Zeit Vorbild humaner stationärer Versorgung psychisch Kranker war und im Gang der Zeit durch das grauenhafte nationalsozialistische Verbrechen massenhafter Krankentötung ihren Niedergang erfahren musste.


Literaturverzeichnis:

Roller CFW (1831) Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen.
Chr. Fr. Müller’sche Hofbuchhandlung, Karlsruhe

Häfner H (1979) Die Geschichte der Sozialpsychiatrie in Heidelberg. In: Janzarik W (Hrsg)
Psychopathologie als Grundlagenwissenschaft. F. Enke Verlag, Stuttgart, 145-160

Middelhoff HD (1979) C.F.W. Roller und die Vorgeschichte der Heidelberger Psychiatrischen
Klinik. In: Janzarik W (Hrsg) Psychopathologie als Grundlagenwissenschaft. F. Enke Verlag,
Stuttgart, 33-50

Lötsch G (2000) Von der Menschenwürde zum Lebensunwert. Die Geschichte der Illenau von
1842 bis 1940. Achertäler Verlag, Kappelrodeck