Christian Roller,
erster Direktor der Illenau
1842-1878
Dr. Karl Hergt,
zweiter Direktor der Illenau
1878-1889
Dr. Heinrich Schüle,
dritter Direktor der Illenau
1890-1916
Dr. Ernst Thoma,
vierter Direktor der Illenau
1917-1928
Dr. Hans Roemer,
fünfter Direktor der Illenau
1928-1940
 
Geschichte C.F.W. Rollers und der Heil- und Pflegeanstalt Illenau

Die Geschichte der Illenau war über mehr als drei Jahrzehnte durch Person und Wirken des Gründungsdirektors, Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802-1878) geprägt. Aufgewachsen als Sohn des "Physikus" am Siechenhaus der Stadt Pforzheim, ermöglichte Roller ein Stipendium der großherzoglich-badischen Regierung von 1818-1821 das Medizinstudium. Im Jahr 1825 beauftragte ihn die badische Regierung, wichtige europäische Einrichtungen zur Behandlung psychisch Kranker zu besuchen, u.a. in Belgien, Deutschland, Frankreich, Holland und Österreich. Nach der Rückkehr wurde Roller 1827 Assistenzarzt am neu eröffneten "Irrenhaus" in Heidelberg. 1830 veröffentlichte er das Buch "Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen" und legte damit einen Entwurf der späteren Reformanstalt Illenau vor (Roller 1831). Das Buch enthielt Vorschläge zur Neuordnung und Humanisierung der psychiatrischen Versorgung. Die badische Regierung griff den Plan einer neuen "Irrenanstalt" auf, die in Lage und räumlicher Gestaltung modernen Anforderungen entsprechen sollte. Christian Roller, 1835 zum Direktor der Heidelberger Anstalt ernannt, wurde federführend an der Wahl des Bauplatzes bei Achern und an der baulichen Planung der Illenau beteiligt. Er wurde mit Bezug der Anstalt im September 1842 ihr Gründungsdirektor. Baulich standen der Festsaal und die darüber gelegene Kirche im Zentrum, daneben reihten sich der Verwaltungstrakt, Küchen und Dienstwohnungen sowie die beiden Flügel für männliche und weibliche Patienten an. Roller hatte mit der Illenau ein für die damalige Zeit modernes Modell europäischer Krankenhauspsychiatrie mit internationaler Ausstrahlung geschaffen (Lötsch 2000, Middelhoff 1979).

Für das Therapiekonzept Rollers spielte der Begriff der "Isolation" (gegen schädigende Außeneinflüsse) und eine "heilsame" innere Welt der Anstalt eine wichtige Rolle, Stadtferne erschien ihm wichtig für den Genesungsprozess. Die Religion und eine darauf gründende bürgerliche Moral hielt er für therapeutisch wirksam. Dem Anstaltspfarrer kam eine mitgestaltende Aufgabe zu. Die Organisation des Alltags ähnelte einer "klösterlichen Ordnung" (Häfner 1979). Roller sprach sich in einer kontroversen Debatte mit dem Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Universität Berlin Wilhelm Griesinger für die Stadtferne psychiatrischer Institutionen und gegen die Einbeziehung von Patienten in den Studentenunterricht aus. Er war ein heftiger Gegner der Gründung einer Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg. Roller war einer der federführenden Exponenten einer universitäts- und stadtfernen Anstaltspsychiatrie. Die akademische Gruppe um Griesinger favorisierte eine naturwissenschaftlich fundierte, in Stadtkrankenhäuser mit der somatischen Medizin integrierte psychiatrische Klinik. Christian Roller starb 75-jährig am 4. Januar 1878, nachdem er die Illenau 36 Jahre lang geleitet hatte.


Die Illenau nach Christian Roller


In der Entwicklung der Illenau spiegeln sich historische Trends der Psychiatrieentwicklung:

· In der Anfangszeit der Illenau fanden sich Merkmale traditionellen Anstaltslebens und des "moral treatment".
· Ein genau regulierter Tagesplan mit Gebeten, Sportaktivitäten und Musizieren standen neben
· Freizeitveranstaltungen, Lesungen und Sommerfesten.

· Unter dem Nachfolger von Christian Roller, Dr. Karl Hergt (1878-1889), wurden psychische Krankheiten
· als Gehirnkrankheiten verstanden. Die religiöse Orientierung der Therapieprogramme trat etwas zurück.

· Der dritte Direktor der Illenau, Dr. Heinrich Schüle (1890-1916), gewann durch die Abfassung eines viel
· benutzten Lehrbuchs und seine Analysen der psychiatrischen Versorgung der Bevölkerung an Ansehen.
· Er hatte auch den Anstieg der Zahl untergebrachter Kranker von 440 auf 700 mit der Folge räumlicher
· Überbelegung zu bewältigen. Während seiner Zeit als Direktor tauchten die ersten eugenischen
· Vorstellungen mit dem Ziel der Verminderung erblicher Geisteskrankheiten auf.

· Während des 1. Weltkriegs und der nachfolgenden Notzeit musste Dr. Ernst Thoma (1917-1928)
· als Direktor der Anstalt Personalentlassungen hinnehmen.

· Der fünfte und letzte Direktor, Dr. Hans Roemer (1928-1940), der erhebliche Verdienste für eine "soziale
· Psychiatrie" und die Schaffung einer "offenen Geisteskrankenfürsorge" in Baden erwarb, trat "in die
· vorderste Phalanx der eugenischen Bewegung" ein (Lötsch 2000).

· Bereits 1934 war ein erster Schritt des Niedergangs der ehemaligen Musteranstalt Illenau erfolgt.
· Das badische Innenministerium eröffnete eine "besondere Verwahranstalt für dauernd anstaltsbedürftige
· Geisteskranke" in Rastatt. 117 Patienten der Illenau und Pflegepersonal wurden in die baulich und
· personell unzureichend ausgestattete Anstalt verlegt.

· 1934-1939 wurden aus der Illenau 281 Frauen und 257 Männer meist im Krankenhaus Achern
· zwangssterilisiert.

· Vom November 1939 an begann der Abtransport von Kranken aus der Illenau, die "im Rahmen des
· Euthanasieprogramms" zur Tötung vorgesehen waren. Dr. Roemer, der inzwischen die Folgen seiner
· eugenischen Überzeugung wahrgenommen hatte, versuchte vergeblich, den Abtransport zu verhindern
· (Lötsch 2000). Vom Juni bis Oktober 1940 wurden weitere Patienten aus der Illenau abtransportiert.
· Von insgesamt 674 Patienten, die sich zu Beginn des Jahres 1940 in der Illenau befanden, wurden
· 260 (= 38%) vorwiegend in Grafeneck und Hadamar getötet. Am 19. Dezember 1940, zwei Jahre vor
· dem Tag ihrer 100-jährigen Existenz, wurde die Illenau geschlossen und aus der Liste der badischen
· Heil- und Pflegeanstalten gestrichen.

In dieser tragischen Veränderung spiegelt sich die unheilvolle Entwicklung einer Reformanstalt, die zu ihrer Zeit Vorbild humaner stationärer Versorgung psychisch Kranker war und im Gang der Zeit durch das grauenhafte nationalsozialistische Verbrechen massenhafter Krankentötung ihren Niedergang erfahren musste.


Literaturverzeichnis:

Roller CFW (1831) Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen.
Chr. Fr. Müller'sche Hofbuchhandlung, Karlsruhe

Häfner H (1979) Die Geschichte der Sozialpsychiatrie in Heidelberg. In: Janzarik W (Hrsg)
Psychopathologie als Grundlagenwissenschaft. F. Enke Verlag, Stuttgart, 145-160

Middelhoff HD (1979) C.F.W. Roller und die Vorgeschichte der Heidelberger Psychiatrischen
Klinik. In: Janzarik W (Hrsg) Psychopathologie als Grundlagenwissenschaft. F. Enke Verlag,
Stuttgart, 33-50

Lötsch G (2000) Von der Menschenwürde zum Lebensunwert. Die Geschichte der Illenau von
1842 bis 1940. Achertäler Verlag, Kappelrodeck